Stadtrechte
Eine vom Paderborner Bischof Simon I. ausgestellte Urkunde hält die Erhebung Steinheims zur Stadt fest: „Wir Symon von Gottes Gnaden Bischof von Paderborn, entbieten allen, die dieses sehen werden, Gruß vom Erlöser“ und weiter „Laßt uns das Dorf Steinheim befestigen und in eine Stadt umwandeln, dort wollen wir die Bewohner befreien, daß sie sich des Rechts erfreuen und es nutzen“.
Mit der Stadterhebung gehörte Steinheim zu dem in dieser Zeit neu entstandenen Typus von Kleinst- oder Zwergstädten, welche aus geopolitischen Eigeninteressen ihrer Landesherrn gegründet wurden.
Wie viele Einwohner Steinheim im Jahre 1275 hatte, wissen wir nicht. Schätzungen von Historikern gehen von etwa 500 Menschen aus, die nötig gewesen wären, um ihre Stadt im Notfall auch zu verteidigen. Eine große Stadt ist Steinheim aber nie geworden, denn um 1800 hatte sie mit 1200 Einwohnern ihre um 1275 geschätzte Einwohnerzahl im Verlaufe von 525 Jahren nur unwesentlich vergrößert.
Im Grunde genommen unterschieden sich die damaligen Bewohner Steinheims nicht von den Bauern der umliegenden Dörfer. Fast alle betrieben Landwirtschaft und lebten überwiegend vom Ackerbau, weshalb die Stadt - wie viele andere Städte gleicher Art - auch als „Ackerbürgerstadt“ bezeichnet wurde. Nur eines hatte sich tatsächlich grundlegend geändert, nämlich ihr rechtlicher Status. Die Einwohner mußten von nun an keinen Frondienst mehr leisten, denn sie waren jetzt freie Bürger und keine vom Landesherrn abhängige Bauern mehr. Worauf sich auch der seit dem Mittelalter überlieferte Satz „Stadtluft macht frei“ bezieht. In späteren Zeiten erlangte aber nicht jeder, der nach Steinheim zog, automatisch den Bürgerstatus. Die Niederlassung mußte beim Rat beantragt werden, wobei die Bewerber den Nachweis der ehelichen Geburt, einen Taufschein sowie vor allem ein gutes Leumundszeugnis vorzulegen hatten. Erst nach Zahlung von 35 Reichstalern und nach Leistung des Bürgereides wurde der Bewerber als Neubürger aufgenommen. Eng verbunden mit dem neuen Bürgerstatus war das Besitz- und Erbrecht sowie das Recht auf Weitergabe des Erbes.
Nun wüßten wir gerne genau, was neben der Befreiung die Steinheimer für Rechte und Privilegien durch die Stadtrechtverleihung 1275 genießen konnten. Leider verweist die Urkunde nur pauschal darauf, dass Steinheim dieselben Rechte bekäme wie die vom Vorgänger des Bischofs verliehenen Stadtrechte an Nieheim. Zu unserem Leidwesen ist die Nieheimer Stadtrechturkunde nicht erhalten geblieben. Aus späteren Nieheimer Zeugnissen lassen sich die Rechte gleichwohl ungefähr rekonstruieren. Da ist zunächst das auch in der Steinheimer Urkunde genannte Recht - aber auch die Pflicht - zur Befestigung, das heißt, den Ort mit einer Stadtmauer zu umgeben. Diese Ummauerung ist bis heute im Stadtgrundriß und in den Straßennamen präsent, insbesondere ist auf der ersten Stadtkarte Steinheims, dem sogenannten Urkataster von 1829, die ursprüngliche mittelalterliche Anlage der Stadt mit der Stadtmauer noch gut zu erkennen.
Drei mit Toren versehene Hauptstraßen führten zum Stadtmittelpunkt, dem Marktplatz mit Rathaus und zur Kirche mit dazugehörigem Bestattungsplatz. Alte Stadtansichten zeigen, daß die Stadttore noch mit Türmen versehen waren. Eine solche Befestigung konnte die Einwohner gut vor plündernden Soldaten und Räuberbanden schützen, bedurfte hingegen auch der ständigen Wartung. Schon im 18. Jahrhundert war die Mauer recht baufällig geworden, und die Bereitschaft der Einwohner, die hohen Instandhaltungskosten zu bezahlen, war eher gering. So berichtet der Steinheimer Stadtschreiber und Historiker Johan Conrad Pyrach, daß am 17. August 1771 ein Turm beim Windtor „bei heiterem und klaren Wetter mit großem Geraßel plötzlich eingestürtzet sei“, und auch der Rentmeister beklagt 1786, daß Teile der Stadtmauer in seinen Garten gefallen seien, die Stadt aber die Reparatur verweigere. Darüber hinaus benutzten die Steinheimer Bürger die Mauer hin und wieder als Steinbruch. Heute sind nur noch kleinere Abschnitte der alten Stadtmauer erhalten, die sich von der Detmolder Straße entlang der Straße Hinter der Mauer ziehen.
Zu den weiteren Privilegien der Stadt gehörten eine Selbstverwaltung mit freier Wahl des Rates und des Bürgermeisters sowie das Recht zur Führung eines eigenen Stadtsiegels. Bereits drei Jahre nach der Erhebung zur Stadt gab es einen funktionierenden Rat mit Siegelhoheit, wie eine vom damaligen Steinheimer Bürgermeister Eckberg im Jahr 1278 ausgestellte Urkunde dokumentiert. Das uns erst in einem späteren Abdruck erhaltene Siegel aus dem Jahr 1486 zeigt ein Stück der Stadtmauer und drei, mit Türmen versehene Tore sowie die Inschrift „Siegel der Bürger in Steinheim“. Aus diesem Siegel entwickelte sich das heutige, leicht abgewandelte Steinheimer Stadtwappen.
Wie genau die Wahl zum Stadtrat im Mittelalter von statten ging wissen wir nicht. Wie diese vielleicht ausgesehen haben mag, beschreibt die Stadtchronik aus späterer Zeit, wobei sie ausdrücklich auf eine jahrhundertealte Tradition Bezug nimmt: „Es wurde nach Lichtmessen jeden Jahres des Nachts um 12 Uhr der bestehende Stadtrath versammelt, welcher sodann aus der Bürgerei 10 Churgenossen (Wahlmänner) erwählte. Diese wurden auf das Rathaus eingeladen und wenn ihnen der Zweck, warum solches geschehen, bekannt war, eingeschlossen und von ihnen der sämtliche Rat erwählt“. Es fand also keine Direktwahl statt, sondern der Rat wurde durch Wahlmänner bestimmt. Warum diese jedoch ausgerechnet um Mitternacht im Rathaus eingeschlossen werden mußten, erschließt sich uns heute nicht unmittelbar.
Weiterhin hatte die Stadt nun das Recht, Zünfte und Bruderschaften zu genehmigen. Waren Ackerbau und Viehzucht die Lebensgrundlage der meisten Steinheimer, so gab es dennoch eine kleine Schicht von Handwerkern, welche Waren und Dienstleistungen für den täglichen Gebrauch produzierten wie zum Beispiel Bäcker, Schuster, Schneider, Schmiede, Tischer oder Zimmerleute. Schon früh schlossen sich diese Handwerker zu Gilden bzw. Zünften zusammen, die Merkmal einer mittelalterlichen städtischen Gesellschaft waren. Den Anfang machte die Gilde der Schuhmacher (1560), es folgte die Gilde der Acker- und Hausleute (1583), die der Schneider (1585), die der Leineweber (1585) sowie die der Schmiede, Kupferschläger und Messermacher (1596). Der Gildebrief der Acker- und Hausleute von 1583 ist noch im Original erhalten und wird im Stadtarchiv verwahrt.
Ein weiteres Stadtprivileg war das Marktrecht, was bedeutete, Handelsmärkte nach eigenen Handelsgewohnheiten einzurichten. Auf dem kleinen lokalen Markt konnten dementsprechend Güter frei gehandelt werden; weiterhin durfte die Stadt von allen Händlern, die mit Waren oder Vieh in die Stadt kamen oder diese durchzogen, ein Wegegeld kassieren. Eng damit verbunden war das Zollrecht, welches der Stadt erlaubte, Zölle auf auswärtige Handelswaren zu erheben.
Ein wichtiges neues Recht war die lokale Gerichtsbarkeit. Der Steinheimer Rat besaß nun die niedere Strafgerichtsbarkeit, und der vom Bischof aus der Steinheimer Bürgerschaft bestimmte Richter konnte eigenständig über Diebstahl, Wald- und Feldfrevel, Verleumdung, Ruhestörung, Schlägereien und ähnliche Straftaten verhandeln, Recht sprechen und Strafen festsetzen. Einzig das Verhängen der Todesstrafe war dem Bischof vorbehalten.
Im Verlaufe der Jahrhunderte kamen weitere Rechte hinzu, wie etwa das der Brau- oder Krug-Gerechtigkeit, das Bürgermeister Vahle 1875 in der Stadtchronik erwähnt und das der Stadt jährlich immerhin 300 Reichstaler einbrachte.
Die auf Mittellatein abgefaßte originale Urkunde der Stadtrechtverleihung befindet sich heute im Landesarchiv NRW, Münster. Über Jahrhunderte hinweg war die Kenntnis um diese Urkunde und damit um das Datum der Stadtrechte-Verleihung hingegen verloren gegangen. So schrieb Bürgermeister Philipp Vahle 1831 in der Steinheimer Stadtchronik: „Welcher Landesfürst aber der Stadt Steinheim städtische Freiheiten verliehen und das Recht dieselben mit Mauern einzuschließen ertheilt hat, kann ebensowenig als der Name desjenigen, wer zuerst die Burg Steini erbauet hat, angegeben werden“ und weiter im Jahre 1875, in dem Steinheim nach einer Volkszählung 2.267 Einwohner hatte: „In welchem Jahr die Stadt die Freiheiten und Gerechtigkeiten verliehen sind, ist nicht bekannt, indessen hat sich die Stadt seit ältester Zeit folgender erfreut“, worauf eine Auflistung dieser Rechte folgt.
Um so erfreulicher ist es, daß sich die Stadt 2025 mit einer Vielzahl von Veranstaltungen an die Verleihung der Stadtrechte im Jahre 1275 erinnert.